Loepfe Production

Wie sich Wetzikon und Uster einen Weltmarkt teilen

Die Textilindustrie hat ihre Spuren im Zürcher Oberland hinterlassen. Die Spinnereien sind verschwunden, die Webereien bis auf eine. Doch noch immer ist die Region in einem Bereich Weltklasse.

Nicht einmal zehn Kilometer liegen zwischen der Sonnen­bergstrasse 10 in Uster und der Kastellstrasse 10 in Wetzikon. Hier lebt die Tradition der Baum­wollindustrie im Zürcher Ober­land in Form zweier Unternehmen von Weltklasseformat weiter: Uster Technologies und Loepfe Brothers.
Doch beginnen wir von vorn: Vor rund 200 Jahren kam die industrielle Revolution in Form von Spinnereien und Webereien in der Region an. Der Aabach mit seiner (dank dem Pfäffiker­see als Regulierbecken) konstan­ten Wassermenge und seinem leichten Gefälle war in der dama­ligen Zeit wie geschaffen für die Nutzung der Wasserkraft.
War in der Region zuvor in Heimarbeit gesponnen und ge­woben worden, so setzte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun­derts eine eigentliche Grün­dungswelle von mechanischen Baumwollspinnereien ein. Der Aabach wurde zum «Millionen­bach» – nicht für die Textilarbei­ter, aber für die Fabrikbesitzer, natürlich.
Rund 100 Jahre war das Zür­cher Oberland ein Zentrum der Textilindustrie. Bis sich diese in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nach Fernost ver­abschiedete. Heute existiert nur noch eine industrielle Baum­wollweberei in der Region: die Weberei Russikon, die aus Baum­wolle schwere Damaststoffe her­stellt.

Die Industrie prägt die Region und umgekehrt

Unzählige Zeitzeugen entlang dem Aabach belegen die einstige Grösse und Bedeutung dieser In­dustrie – alte, un-oder umge­nutzte Fabrikareale, Kleinkraft­werke oder auch die Villen der Fabrikanten. Die Textilindustrie prägte das Zürcher Oberland. Und das Zürcher Oberland prägt die Textilindustrie – bis heute. Zwei Firmen in Uster und Wet­zikon besetzen eine Nische, in der sie besser sind als alle anderen: Uster Technologies und Loepfe Brothers haben sich auf die Qualitätssicherung in der Textilindustrie spezialisiert.
Beide sind Tochtergesell­schaften von internationalen Konzernen, operieren aber mit grosser Selbständigkeit: Uster Technologies entstand 2003 durch ein Management-Buy-out aus der Zellweger-Luwa-Gruppe und gehört seit 2012 zum japa­nischen Konzern Toyota Indus­tries Corporation. Loepfe Bro­thers ist seit 2021 Teil des belgi­schen Textilmaschinenherstellers Vandewiele.
In Uster begann das Textilgeschäft in den 1930er Jah­ren. Der Durchbruch gelang 1948 mit dem sogenannten Garn-Gleichmässigkeits-Prüf­gerät (GGP) für gesponnenes Garn. 1957 folgte die Uster-Sta­tistik, die die Qualität von Baumwollfasern und Garnen er­fasst. Diese Statistik deckte in der Folge immer weitere Quali­tätskriterien ab und etablierte sich zum weltweit anerkannten Qualitätsstandard für die Tex­tilindustrie. Bis heute wird die Qualität von Fasern und Garnen in Uster bestimmt.

Eine Stadt benannt nach einer Firma …

Der Standard trägt den Namen Uster in die Welt hinaus. Mit teil­weise amüsanten Folgen, wie Davide Maccabruni mit einem Lachen erzählt: «Es kommt vor, dass wir internationale Gäste bei uns empfangen, die begeistert sind, dass die Stadt nach unse­rer Firma benannt wurde.» Der gebürtige Italiener, der am Politecnico in Mailand Manage­ment und Produktionstechnik.
Wenn es um die Qualität von Garnen geht, blicken Spulmaschinenhersteller aus der ganzen Welt ins Oberland.

Zehn Kilometer weiter in Kempten navigiert die Loepfe Brothers Ltd. im selben Ge­schäftsfeld. CEO Markus Klein­dorp leitet das Unternehmen seit Mai dieses Jahrs. Zuvor war der Deutsche mehr als 20 Jahre bei einer Vandewiele-Tochter in Dornstetten (Baden-Württem­berg) tätig.
Gegründet wurde die Firma 1955 von den Brüdern Helmut und Erich Loepfe. Zuerst war der Geschäftssitz an der Zypres­senstrasse in Zürich, zehn Jahre später folgte der Umzug nach Wetzikon. Begonnen hatte alles mit dem sogenannten Schussfadenführer.
Die optisch-elektronischen Geräte sorgten für die Überwa­chung des Garns, das sich noch im Eintragssystem der Webma­schine befand. Bei zu kleinem Vorrat wurde der Spulenwechsel automatisch eingeleitet. 1962 folgte der erste opto-elektroni­sche Garnreiniger. Hier über­schneiden sich die Produktport­folios der beiden Oberländer Unternehmen.

Mit dem Sensor durch dick und dünn

Loepfe Brothers wie Uster Tech­nologies stellen Bauteile her, die direkt in die Garnspulma­schinen integriert sind. Senso­ren überprüfen das Garn nach Dick-und Dünnstellen, aber auch nach kleinsten Verschmut­zungen.
«Qualitätssicherung ist daher ein etwas missverständlicher Be­griff», sagt Loepfe-CEO Markus Kleindorp. «Wir sind sehr früh eingebunden in den Produktionsprozess.»
In einem Showroom auf dem Firmengelände in Kempten stehen verschiedene Garnspul­maschinen, in denen Sensorik von Loepfe verbaut ist. Es sind kleine, kaum faustgrosse Geräte, bestehend aus Tastkopf und Rechnereinheit. Bis zu 1800 Me­ter Garn werden pro Minute auf die Spule gewickelt. Der Sensor erkennt auch bei diesen hohen Geschwindigkeiten kleinste Ab­weichungen im Garn im Milli­meterbereich.
Das Engineering erfolgt in Wetzikon. Auch zentrale Teile, beispielsweise optische Kompo­nenten, werden an der Kastell­strasse hergestellt. Weniger be­deutende Bauteile wie Gehäuse werden an Zulieferer vergeben. Die Endmontage wiederum fin­det in Wetzikon statt.
Uster Technologies entwickelt und produziert auch in den USA und China. Doch der Garnreini­ger, eines der wichtigsten Pro­dukte, wird in der Heimatstadt gefertigt.

Der Produktionsstandort Schweiz ist beiden Unternehmen wichtig, die hohen Lohnkosten sind zu verschmerzen. Rund 15 bis 20 Prozent des Gesamt­preises einer Spulmaschine machen die Kosten des Garnreinigers aus. «Der Kunde wählt die Ausstattung und bestimmt so den Preis», erklärt Stefan Im­feld, Head of Materials & Produc­tion bei Loepfe. «Entscheidend ist dabei die Anzahl und Art der eingebauten Sensoren.»
Trotzdem habe der Standort Wetzikon heute nur noch «his­torische Gründe», ergänzt Mar­kus Kleindorp. Denn mit der Textilindustrie sind auch die Kunden für die Garnreiniger aus Uster und Wetzikon weitergezogen. Sie lassen sich an einer Hand abzählen: Heute stammen die Hersteller von Textilmaschi­nen – abgesehen von Rieter in Winterthur – aus China, Japan und Italien.
Das Risiko, in einen Preis­wettbewerb mit Billiganbietern zu geraten, ist in diesem speziellen Segment gering. Fehler im Endprodukt schaden der Repu­tation des Textilherstellers, und Klagen von Kunden können teuer werden.
Von der einzelnen Baumwoll­faser bis zum fertigen T-Shirt im Laden liegen rund 60 verschie­dene Prozesse. «Die Fertigung ist sehr kleinteilig, das ergibt Ni­schen, wie wir eine besetzen», sagt Kleindorp. Bis jetzt sei noch kein chinesischer Hersteller auf die Idee gekommen, die Garnrei­niger von Loepfe Brothers oder Uster Technologies zu kopieren oder etwas Eigenes zu entwi­ckeln: «Die Nische ist einfach zu klein.»

Markus Kleindorp and Stefan Imfeld

Das Textilgeschäft ist zyklisch

Bei den Garnreinigern über­schneiden sich die Produktport­folios der beiden Oberländer Unternehmen. Uster Technolo­gies stellt neben Systemen, die die Qualität während eines Prozesses überwachen, auch Labortestgeräte zur Qualitätssicherung her und ist um einiges grösser als Loepfe. Rund 680 Mitarbeitende beschäftigt Uster Technologies, etwa die Hälfte arbeitet im Zellweger-Areal in Uster, was das Unterneh­men zum grössten privaten Ar­beitgeber der Stadt macht. Bei Loepfe in Wetzikon sind rund 120 Mitarbeitende tätig. Über Umsatzzahlen schweigen sich sowohl Maccabruni als auch Kleindorp aus.

Aber sie machen kein Ge­heimnis daraus, dass die Zeiten herausfordernd sind. Das Textil­geschäft ist zyklisch. Markus Kleindorp: «95 Prozent aller Tex­tilien sind Kleider. Der Absatz von Kleidern hängt von zwei Faktoren ab: Bevölkerungszahl und Wohlstand.» Geht es mit der Wirtschaft aufwärts, kaufen die Leute neue Kleider. Harzt die Konjunktur, wird zuerst bei der Kleidung gespart. Mit Folgen für die Hersteller von Textilmaschi­nen und Maschinenteilen. «Die Schwankungen bei den Auftrags­eingängen sind riesig und kön­nen 50 Prozent oder mehr betra­gen», bestätigt Davide Macca­bruni.
Dazu kommt, dass die Pro­duktionskapazitäten in der Textilindustrie in den letzten 20 Jahren verdoppelt wurden. Die Weltbevölkerung wuchs (glücklicherweise) nicht im sel­ben Tempo. Als Konsequenz gibt es zu viele Textilmaschinen auf der Welt. Und da eine Textilmaschine eine Lebensdauer von rund 20 Jahren hat, verschwin­den diese Überkapazitäten nicht über Nacht. Markus Kleindorp: «Die Durststrecke dauert jetzt zwei Jahre. Wir können nur war­ten, bis der Motor wieder an­springt.»
Doch diese Schwankungen gab es schon immer, die Textil­industrie ist es gewohnt, sie aus­zuhalten. Loepfe beispielsweise arbeite in der Produktion mit temporären Mitarbeitenden und einem erhöhten Automatisie­rungsgrad, erklärt Kleindorp. So bleibt man flexibel. Zudem kön­nen bestehende Anlagen auch mit neuen Messgeräten moder­nisiert werden, ein willkomme­nes Zusatzgeschäft in schwieri­gen Zeiten.

«Der Wettbewerb hält uns fit»

Dass sich gleich zwei Oberländer Unternehmen in dieser Nische der weltweiten Textilindustrie bewegten, habe sich «zu einem willkommenen Status quo ent­wickelt», sagt Maccabruni. «Der Wettbewerb hilft beiden Unter­nehmen, fit für die Zukunft zu bleiben.»
Die Situation ist vergleichbar – wenn auch in deutlich kleine­rem Massstab – mit Basel, wo sich Pharmaunternehmen täg­lich messen, oder früher Detroit, wo die grossen US-Autobauer GM, Ford und Chrysler um Marktanteile und Talente kämpf­ten.
Es gibt keine Zusammenar­beit zwischen Uster Technolo­gies und Loepfe. Das heisst aber nicht, dass es keine gemeinsa­men Interessen gibt. «Wichtig für uns beide ist, dass die Garn­reinigungstechnologie im Spinn­prozess relevant bleibt», sagt Davide Maccabruni.

Sandro Compagno, Editor Zürich Oberland Medien

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